Andacht zu Pfingsten (Gemeindebrief Juni-August 2019)

Liebe Leserinnen und Leser,

endlich ist Pfingsten! Der Sommer ist in Sicht! Da können wir raus ins Grüne fahren und haben den Montag auch noch frei … „Aber was feiern wir da eigentlich?“, fragt mich neulich Nathalie, die 13-jährige Tochter meiner Nachbarin. Für einen Moment stocke ich. Doch dann sprudelt es aus mir heraus: „Eigentlich ist Pfingsten die Fortsetzung von Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt. Weihnachten ist Jesus Christus geboren. Ostern ist er auferstanden. Dann ist er in den Himmel aufgefahren. Und Pfingsten hat der Heilige Geist die Menschen ergriffen und hat ihnen den Glauben gebracht.“ „Dann ist der Heilige Geist nur für die Christen da?“, fragt Nathalie weiter. „Dazu fällt mir etwas ein, das ich dir erzählen möchte“, antworte ich. „Erzähl!“, tönt es mir freudig und erwartungsvoll entgegen. „Vor einigen Jahren hat mich genau diese Frage beschäftigt, zu wem Gott den Heiligen Geist sendet. Und ich machte mich auf zu heiligen und weniger heiligen Orten Berlins vielleicht um eine Antwort auf meine Frage zu finden. Ich beobachtete die Menschen in den Kirchen, Tempeln und Moscheen. In den Kneipen, Cafés und Nachtklubs, um Gottes Geist zu spüren. Doch ein Zeichen blieb aus. Irgendwann saß ich dann in einer Synagoge und betete. Und nach einer Weile fragte ich den dortigen Rabbiner: „Wo weht denn Gottes Geist, Rabbi?“ Seine Antwort: „Der Geist Gottes weht viel weiter, als der Geist des Menschen es versteht. Und manchmal weht er gerade nicht dort, wo du ihn vermutest, sondern ganz woanders …“ „Weise Worte, Rabbi“, murmelte ich und zog nach Haus.

— Wochen später. Pfingsten. Karneval der Kulturen in Kreuzberg. Ein Stimmenmeer. Ein bunter Farbenreigen. Viele Sprachen. Viele Menschen. Christen aller Art: Katholiken, Protestanten, Gesandtschaften der syrisch-orthodoxen Kirche und der russisch-orthodoxen Kirche, Anglikaner… Auch Nicht-Christen: Muslime, Juden, Buddhisten, Hindus… Und Atheisten. Männer und Frauen. Jung und Alt. Die meisten Menschen kenne ich nicht. Einige Gesichter sind mir vertraut. Alle sind sie gekommen zum alljährlichen Interreligiösen Friedensgebet in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Das Motto ist diesmal „Hilfe für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten“. Alle haben ihre schönsten Gewänder angelegt. Alle beten, meditieren, musizieren, spenden, sammeln. Gemeinsam. Alle geben Gott die Ehre. Alle geben einander die Ehre… Ich bin das erste Mal dabei. Bete mit. Höre zu. Improvisiere zwischen den Gebeten Musiken am Piano… Singe… Wellen von Vibrationen entstehen im Kirchraum, wachsen unaufhörlich… Und plötzlich mitten im Kaleidoskop der Gebete und Klänge höre ich SEINE Stimme. Plötzlich spüre ich SEINEN Geist. Plötzlich spüre ich EINEN Geist. Ganz nah… Ganz klar…. „Dann ist der Heilige Geist also nicht nur für die Christen da?“, fragt mich Nathalie aufgeregt. „Nun…“, antworte ich, „wo Gott seinen Geist hinsendet, weiß nur er allein. Ich denke aber, wir können spüren, wo er wirkt. Dort, wo Menschen sich auf den Weg machen, um die Wahrheit zu suchen. Wo sie sich nichts mehr vormachen lassen. Dort, wo Menschen die Sünde erkennen: Gegen Gott und gegen die Kreatur. Dort, wo Menschen sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen. Dort, wo Menschen den Nächsten lieben und ehren. Dort, wo Menschen Gott lieben und ehren. Auch wenn sie eine andere Vorstellung von Gott haben als wir… „Vielleicht hat der Rabbi Recht“, sinniert Nathalie. „Vielleicht weht ja der Geist Gottes viel weiter, als wir Menschen es verstehen….“ „Bestimmt hat der Rabbi Recht“, entgegne ich. Jedenfalls lese ich das Pfingstereignis aus der Apostelgeschichte heute mit einem weiteren Blick: Und sie alle wurden erfüllt vom Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen… Parther und Meder, Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadokien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene, in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. EIN Geist erfüllt alle Völker der Welt: Der Geist Gottes!

Ist das nicht eine wunderbare Vorstellung?!? Frohe Pfingsten Ihnen allen! Und einen geisteskräftigen und gesegneten Sommer! Ihre Pfarrerin Axinia Schönfeld

(aus dem Gemeindebrief Juni-August 2019)