Zufluchtskirche

Ansicht von Außen (oben)
Ansicht des Innenraums (unten)
Geschichte der Zufluchtskirchengemeinde bis 2016

Nach dem 2. Weltkrieg wurden viele FlĂŒchtlinge in einem Barackenlager auf dem Friedhof „In den Kisseln“ untergebracht. Aus dieser Notgemeinschaft entstand eine neue Gemeinde, die sich „Ev. Zuflucht-Gemeinde“ nannte. Ihre besondere Aufgabe bestand darin, den hier Gestrandeten Zuflucht und Beistand zu geben angesichts von  Entwurzelung, Einsamkeit und traumatischen Kriegs- und FlĂŒchtlingsschicksalen.

Beim Wohnungsneubau auf dem Falkenhagener Feld in den 60er Jahren wurde auch ein evangelisches Gemeindezentrum errichtet, dessen Kirche die Form eines Zeltes  hat. Der Architekt des eigenwilligen GebĂ€udes ist Bodo Fleischer (1930-2013), ein SchĂŒler des legendĂ€ren Erbauers der Berliner Philharmonie,  Hans Scharoun.

Zeugnisse und Dokumente ĂŒber das Gemeindeleben befinden sich in unserem Gemeindearchiv. NĂ€heres ist auch in unserer BroschĂŒre „60 Jahre Zuflucht. 1952-2012“ zu erfahren.

Im Jahr 2014 wurden in dem Band „Beton und Glaube“ Berliner Kirchenbauten dokumentiert, die nach dem 2. Weltkrieg in Westberlin in architektonischer Experimentierfreiheit entstanden und von großer Faszination sind. Viele dieser GebĂ€ude sind heute in ihrem Erhalt bedroht. Auch das  multifunktionale Gemeindezentrum der Ev. Zufluchtskirchengemeinde gehört dazu („Beton und Glaube“, S.100-103) 


Die Innenarchitektur
Die PrinzipalstĂŒcke

Der Bildhauer Waldemar Otto lebte etwa 30 Jahre in Berlin – vom Beginn seines Studiums nach dem Krieg bis zum Ende der siebziger Jahr. Der Reliefzyklus fĂŒr die Zufluchtkirche entstand in den Jahren 1968-1972 – neben vielen anderen Skulpturen fĂŒr Berliner Kirchen. 1968 wurde Waldemar Otto beauftragt, den Altar, die Kanzel und den Taufstein zu gestalten. Im Vorfeld gab es eine Reihe intensiver GesprĂ€che zwischen dem KĂŒnstler und der Gemeinde. Die Bronzereliefs, die er schuf, nehmen das Schicksal vieler Gemeindemitglieder auf: Einsamkeit, Hunger und Armut, Flucht und Tod. Sie zeigen das Entsetzliche, das Menschen einander immer wieder zufĂŒgen. Und sie zeigen Hoffnung und Trost in der Gemeinschaft der GlĂ€ubigen.

Die Kanzel

Die beiden Bronzetafeln der Kanzel, die im rechten Winkel zueinander stehen, symbolisieren das Alte und das Neue Testament.

Die HebrĂ€ische Bibel erzĂ€hlt, der große, erfolgreiche König David habe das Volk geeint, es aus der Hand der Feinde befreit und die Bundeslade, das Heiligtum der israelitischen StĂ€mme, nach Jerusalem gebracht. Auf der Kanzel ist David als PsalmensĂ€nger abgebildet, der durch seine Lieder das Wort Gottes verkĂŒndet.


Das Kreuz auf der zweiten Tafel der Kanzel symbolisiert Jesus, den „Sohn Davids“. Der Titel „Sohn Davids“, den seine AnhĂ€nger Jesus gaben, weist darauf hin, mit welch großen Erwartungen und Hoffnungen sie ihm verbunden waren.

Um das große Kreuz auf der Kanzel-Tafel drĂ€ngen sich Menschen unserer Zeit. Hier ist der Ort ihrer Zuflucht. Hier ist Schutz. Ihr Leid und Elend wird vor Gott gebracht. In der Gemeinschaft gewinnen sie neue Kraft. Im Gebet finden sie Trost. Die Heimatlosen im Falkenhagener Feld richteten ihre Hoffnungen auf eine neue Heimat „in Christus“.


Der Altartisch

Meist ist der Gemeinde die LĂ€ngsseite des Altartisches mit dem Zyklus „Abendmahl“ zugewandt. Wort, Sakrament und Gebet sind dargestellt: Zwei MĂ€nner und eine Frau sitzen beieinander. Die Frau in der Mitte betet, links von ihr sitzt ein Mann, der die Bibel liest, rechts ein zweiter Mann, der Wein und Brot austeilen wird. Mit diesen drei Figuren möchte der KĂŒnstler die Zufluchtskirchengemeinde selbst ansprechen.


Auf der anderen LĂ€ngsseite sieht man die Schrecken des vergangenen Krieges in drei realistischen Bildern.

Die brennende Stadt

Eine Straße in einer brennenden Stadt. HochhĂ€user begrenzen den Raum. Sie stehen in Flammen. Die Feuer beider Straßenseiten treffen sich in der Mitte und bilden ein glĂŒhendes Dach. Ganz hinten aus der Tiefe der Straße rennen zwei Menschen, um dem Feuersturm zu entkommen.

Der Kampf

Zwei MĂ€nner halten sich im Kampf umklammert. Sie tragen beide Stahlhelme. Der Mann im Vordergrund kniet mit einem Fuß am Boden. Sein Gesicht ist zum Betrachter gedreht und verzerrt. Ob sich Angst oder Hass drauf abzeichnen, lĂ€sst sich kaum unterscheiden. Beide sind bewaffnet und bereit, den Gegner zu töten. Einer wird zum Mörder, der andere stirbt im Hass.

Die Gefallenen

Die Tafel zeigt zwei MĂ€nner im Moment des Sterbens. Der Tod wird als Vorgang des Fallens durch die diagonale Anordnung der Körper im Bildraum besonders eindringlich dargestellt: ein Körper kippt nach vorne ĂŒber, der Hals ist gebrochen, der Arm verstĂŒmmelt. Der zweite Mensch stĂŒrzt kopfĂŒber aus der Höhe. Ein SchĂ€del ohne Körper liegt am Boden. Vor unserem inneren Auge entsteht ein Schlachtfeld, der Ort tausendfachen Sterbens meist junger Menschen, deren Leben sich nicht vollenden konnte. Jeder plötzliche Tod ist ein Sterben ohne Abschied, ohne liebevolle Zuneigung, ohne Trost.

Lazarus

Johannes 11,25

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.

 

 

Diese Schmalseite des Altars weist hin auf das Reich des Todes und auf das irdische Leben:

In einem engen Raum auf einem schmalen Bett liegt eine tote Gestalt. Weit entfernt von der Welt scheint dieser Mensch zu sein. Gelöst sind seine Glieder, sein Gesicht ist friedlich. Hinter dem Bett des Entschlafenen stehen vier Menschen in grĂ¶ĂŸter Verzweiflung. Sie ringen die HĂ€nde, ihre MĂŒnder sind zu Schreien geöffnet, ihre Gesichter sind voller Gram ĂŒber das UnglĂŒck, dass dieser geliebte Mensch aus ihrer Mitte gerissen wurde.
Das Motiv der Tafel bezieht sich auf Lazarus, den Bruder von Marta und Maria aus Betanien, der nach schwerer Krankheit gestorben war. Jesus ruft ihn ins Leben zurĂŒck, er besiegt den Tod, er durchbricht dessen Gesetze.

Maria und Marta

Lukas 10,38 ff.

Als sie aber weiterzogen, kam Jesus mit seinen JĂŒngern in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu FĂŒĂŸen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lĂ€sst allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortet und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und MĂŒhe. Eins aber ist Not, Maria hat das gute Teil erwĂ€hlt; das soll nicht von ihr genommen werden.

Das Relief ist in zwei RĂ€ume geteilt. Im breiteren Raum sitzt Maria, lauschend, nachdenklich den Kopf auf den Arm gestĂŒtzt und lĂ€chelnd. Ihr Raum ist geöffnet. Marta eingezwĂ€ngt in einem engen Raum wie in einer Schachtel oder Zelle, die Arme eng am Körper, die HĂ€nde ringend.

Pfarrer Dr. Christoph Rhein, *1929:

Schon als Kind liebte ich diese Geschichte. Damals war ich eindeutig auf der Seite der Maria. Denn sie saß bei Jesus und hörte ihm zu. Ich stelle mir vor, dass auch sie ein Kind war wie ich. Marta aber war natĂŒrlich schon eine Erwachsene. Und ich fand es wunderbar, dass Jesus Maria verteidigte.
 Zwölf Jahre spĂ€ter hatte sich fĂŒr mich die ganze Geschichte verwandelt. Meine Vorstellung von Fairness und von einer gerechten Verteilung der Lasten lehnte sich dagegen auf, dass Maria in dieser Geschichte von Jesus so gelobt wurde. Aber hinter meiner neuen Sympathie fĂŒr Marta steckte natĂŒrlich auch eine neue Vorstellung von dem, was Kirche sein sollte: eine Schar von Menschen, bereit etwas zu tun, sich zu engagieren, sich einzusetzen zum Wohle der anderen. Schreit unsere Welt nicht nach tĂ€tigen Christen, denen es nicht so wichtig ist, ihre Frömmigkeit zu pflegen, die stattdessen etwas Rechtschaffenes tun?
 SpĂ€ter ist mir deutlich geworden, dass ich ĂŒberhaupt nicht bedacht hatte, wo diese Geschichte gespielt hatte, in einem Dorf bei Jerusalem nĂ€mlich, unter Menschen, die geprĂ€gt waren durch eine bestimmte Tradition, durch eine eindeutige Rollenverteilung zwischen MĂ€nnern und Frauen: Jesus kommt in das Dorf Betanien, und Marta nimmt ihn auf. „In ihr Haus“, wie es heißt. Sie ist die Ă€ltere, sie fĂŒhrt das Haus. Ein Mann ist offenbar nicht vorhanden, und so spielt sie als Hausherrin und Gastgeberin die klassische Rolle des Mannes. Die jĂŒngere Schwester hat keine eigene Rolle, sondern muss sich einfĂŒgen in die PlĂ€ne der Ă€lteren. Aber stattdessen setzt sie sich Jesus zu FĂŒĂŸen und hört seiner Rede zu. Sie lehnt sich auf gegen die Ordnung ihrer Zeit: ein unverheiratetes MĂ€dchen sitzt zu FĂŒĂŸen eines unverheirateten Mannes. Sie sitzt unter den MĂ€nnern, denen es doch vorbehalten ist, mit dem Gast zu reden. Die Religion, die Öffentlichkeit, das GesprĂ€ch waren damals MĂ€nnersache. Und in diesen Kreis ist nun Maria getreten, um bei dem Rabbi aus Nazareth, diesem Besonderen unter den MĂ€nnern, zu lernen.
 Maria hat das Bessere erwÀhlt. Es geht um Gottes neues Reich, um die Zukunft der Welt. Dabei können Frauen nicht ausgeschlossen sein. Jesus bricht hier mit der Tradition. Er befreit von ihr dort, wo sie schÀdlich ist, weil sie das Leben und das Wachsen des Reiches Gottes behindert.

TextauszĂŒge der „Berliner Rundfunkpredigt“ am 1. MĂ€rz 1987 im RIAS


Das Taufbecken

                                                                                      

Das Taufbecken in Form einer sich nach unten verjĂŒngenden SĂ€ule hat drei Bildmotive.
Die HebrÀische Bibel erzÀhlt:

Adam und Eva fliehen vor Gottes Zorn. Sie werden aus dem Paradies vertrieben. Adam bedeckt mit den HĂ€nden sein Gesicht und seine Scham. Er entspricht nicht dem Entwurf, den Gott erdachte, als er ihn erschuf. Scham, SĂŒnde und Schuld sind in der Welt. Die Menschen haben Erkenntnis und Freiheit, zugleich aber auch Sorge und MĂŒhe.

Christus wird verspottet. Seine HĂ€nde sind gefesselt, auf der Stirn eine Dornenkrone und um die Schultern ein Tuch als königlicher Mantel. Er wird gefoltert. Spott erniedrigt den GequĂ€lten, seine menschliche WĂŒrde wird entehrt.
Die Evangelien erzÀhlen, dass Jesus, der auch als zweiter Adam gedeutet wird, ein Leben lebte, wie es Gott meinte. Seine Qualen sind die Qualen aller Gefolterter und Leidender.

Markus 1,9 ff.

Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus aus Nazareth in GalilĂ€a kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herab kam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.

Zur Erde fliegt eine Taube.

Die Taube ist ein Symbol fĂŒr Liebe und Treue seit mehr als 4000 Jahren. In der christlichen Symbolik weist sie auf die Taufe Jesu hin.

Wir danken dem Wichernverlag fĂŒr die Überlassung der Abbildungen aus dem Buch „Waldemar Otto, Werke in Berliner Kirchen“.
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Waldmar Otto bei Wikipedia