Andacht März-Mai 2020

FRÃœHJAHRSANDACHT

Liebe Gemeinde,

es ist schon immer wieder ein Wunder, wie aus dem Nichts Leben entsteht. Die Bäume waren eben noch kahl und grau. Die Erde ist krustig hart gefroren. Nun, vielleicht nicht mehr ganz so krustig im Zuge der Erderwärmung. Und dennoch, jedes Jahr scheint es, dass die Erde ihre Energie im Winter auf ein Mindestmaß reduziert. Es blüht nichts mehr. Viele Tiere halten Winterschlaf. Die Sonne verabschiedet sich weitgehend. Die Tage sind kurz. Und auch wir Menschen haben oft weniger Energie. Wir müssen uns warm anziehen, damit wir nicht frieren. Wir werden melancholisch, manchmal auch ein wenig depressiv – bis der Kreislauf des Jahres wieder das Unmögliche möglich macht: Sonnenstrahlen brechen sich Bahn. Stück für Stück. Die Tage werden länger. Die Knospen an Sträuchern und Bäumen beginnen zu sprießen. Alles grünt. Und auch wir kommen wieder langsam zu uns, erwachen zu neuem Leben zusammen mit der Natur, an der wir uns erfreuen. In die Frühlingszeit fällt auch das Hochfest der Christinnen und Christen: Ostern. Und der Frühling, so scheint es, ist die Jahreszeit, die eben das symbolisiert, wofür das Osterfest steht: Das Werden neuen Lebens, den Sieg des Lebens über den Tod, die Auferstehung! Trauer wird in Hoffnung verwandelt! Hoffnung wird zur Gewissheit und Freude über das wieder erwachende Leben! Doch was ich hier nur fragmentarisch versuche zu beschreiben, hat einer der größten deutschen Dichter so unnachahmlich schön besungen, dass ich Ihnen seine Worte, die Sie sicher alle kennen, noch einmal in Erinnerung rufen möchte:

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;

Im Tale grünet Hoffnungsglück;

Der alte Winter, in seiner Schwäche,

Zog sich in raue Berge zurück.

Von dorther sendet er, fliehend, nur

Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

In Streifen über die grünende Flur;

Aber die Sonne duldet kein Weißes:

Ãœberall regt sich Bildung und Streben,

Alles will sie mit Farben beleben;

Doch an Blumen fehlt`s im Revier,

Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um von diesen Höhen

Nach der Stadt zurückzusehen.

Aus dem hohlen finstern Tor

Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

Denn sie sind selber auferstanden,

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,

Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Straßen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh!

Wie behänd sich die Menge

Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluss, in Breit und Länge,

So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und bis zum Sinken überladen

Entfernt sich dieser letzte Kahn.

Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet Groß und Klein;

Hier bin ich Mensch,

hier darf ich`s sein!

(„Osterspaziergang“ aus: Faust. Der Tragödie erster Teil. Johann Wolfgang von Goethe)

Einen gesegneten Frühling wünscht Ihnen Ihre Pfarrerin Axinia Schönfeld

 

(Gemeindebrief März -Mai 2020)